Stoische Übungen

Stoische Übungen

Die Stoiker sind bekannt für ihre "therapeutisch-philosophische Praxis". Das Ziel der stoischen Übungen ist es, die eudaimonia zu sichern - also sowas wie einen "guten Geist", eine gute Seele - was am Ende einem guten Leben gleichkommt bzw. einem "guten Fluss des Lebens" (euroia biou). Bei den Stoikern braucht man dazu lediglich einen "exzellenten oder tugendhaften Charakter" (arete) und das wird erreicht, indem man im "Einklang mit der Natur" lebt (to homologoumenos zen).

Dazu müssen sie den Spagat zwischen "wir haben Anteil am Göttlichen" (logos) und "wir sind irdische Wesen und zur Zusammenarbeit geschaffen" machen. Und dazu ist es notwendig, seine Anschauungen und Haltungen an die der Philosophie anzugleichen. Das bedeutet zum einen, die Theorie und das Wissen (episteme) hinter der Physik, Logik und Ethik zu studieren (mathesis) und zum anderen, sich in diesen Bereichen auch praktisch zu trainieren (askesis, melete), um irgendwann die Tugend zu verkörpern - und ein Weiser zu sein. Das Üben ist Teil der Aneignung des Wissens, denn das Wissen über die Tugend ist nicht nur ein theoretisches, sondern eben auch ein praktisches (techne).

Die Stoiker sprechen manchmal davon, dass die Seele "geheilt" werden solle. Geheilt von Leidenschaften, irrationalen Anschauungen und anderen Gewohnheiten, die nicht im Einklang mit der Natur sind.

Neben reinen mentalen, spirituellen Übungen gibt es auch Übungen, die spirituell und körperlich sind - denn auch das "Fleisch" (oder unsere Biologie) kann uns durch den Lebensstil vor Herausforderungen stellen, die Tugend zu praktizieren.

Neben allgemeinen Übungen, wie bspw. das Auswendiglernen von wichtigen Grundsätzen der Stoa und, im weitesten Sinne, Meditationen, können die Übungen auch den Teilen der Philosophie zugeordnet werden und werden dann quasi zu praktischer Physik, praktischer Ethik und praktischer Logik.

Von einer Zuordnung zwischen den Bereichen der Philosophie (topoi) und den Tugenden sehe ich hier ab. Vielmehr macht es Sinn, wie Epiktet es auch in den Unterredungen 3.2 beschreibt, die verschiedenen Funktionen der Seele mit den Bereichen der Philosophie zu verbinden.

Der erste topos ist die "Disziplin der Leidenschaften". Dort geht es darum, das zu wollen, was gut ist, und das zu vermeiden, was schlecht ist - hier geht es um die Befreiung von den Leidenschaften/Emotionen (pathe). Das ist der Bereich der praktischen Physik.

Die nächste Disziplin ist die der "Handlung" - wobei Motivation besser passt. Es geht in dieser Disziplin um die eigenen Antriebskräfte (horme) bzw. das "Handelnwollen" (die Handlung selbst kann verhindert werden, doch die Motivation ist allein abhängig von unserem Willen (unter unserer Kontrolle)). Das Training in diesem Bereich hat Einfluss auf die "pflichtgemäßen" Handlungen (kathekonta). Damit man tut, was im gegenwärtigen Augenblick zu tun ist.

Der letzte Bereich ist die stoische Achtsamkeit. Die Disziplin der Zustimmung. Dort geht es um das Training der logischen Fähigkeiten; insbesondere der Bildung eines Werturteils zu einem äußeren Eindruck.

Durch das Training in diesen Bereichen lernt man auf körperlicher Ebene, sich mit Lust und Schmerz als wesentliche Bestandteile des Lebens anzufreunden. Auf seelischer bzw. emotionaler Ebene lernt man, stoisch-rational zu denken, fühlen und zu handeln. Man lernt, eigene Wünsche, wie man selbst, andere oder die Welt sein sollen, loszulassen, die Umstände zu akzeptieren, die einem die Natur/das Schicksal präsentiert und zu das zu tun, was dem gegenwärtigen Augenblick Exzellenz verleiht.

Durch diese Freiheit (eleutheria) bzw. den Fokus auf das, was in unserer Macht steht (eph hemin), erhält man die ataraxia sowie die apatheia bzw. im ganzen die eudaimonia (den guten Geist), was gleichzeitig die Exzellenz des Charakters (arete) des Menschen ist. Damit ist man voll im Fluss des Lebens (euroia biou) und erlebt Glück - das stoische Erwachen.


Quellen und weiterführende Literatur